Inventarnummer 471/96 gelangt seit
Jahrzehnten nur in Ausnahmefällen ans •Tageslicht. Finger in reinweißen Baumwollhandschuhen heben die Platinuhr dann vorsichtig aus einer Samtschatulle. Das runde Zifferblatt ist von Brillanten umkränzt, in den Edelsteinen bricht sich das Licht in einer glitzernden Kaskade.
Hergestellt in der Pforzheimer Manufaktur Eszeha, fand sich das Schmuckstück nach Kriegsende in einer einfachen Pappschachtel. Welches Handgelenk'die Uhr dereinst zierte, ist nicht schwer herauszufinden. Auf der Rückseite des 'Gehauses prangt eine Gravur mithand schriftlichem Namenszug: „Zum'6.2.1939"herzlichst^A. Hitler" (siehe Foto'Serte Jener Tag im Februar war der'27. Geburtstag von Eva Braun. Der Reichskanhler hatte die Uhr brillantbesetzt mit kordelverschluss, seiner 22 Jahre jüngeren Geliebten verehrt. Und beinahe unbeschadet überstand das Juwel die Wirren der folgenden Jahre.
Heute liegt die Pretiose als „Verwahrgut 3. Reich" im Depot der Pinakothek der Moderne in München, registriert als „Nachlass Eva Hitler vorm. Eva Braun" in einem Giftschrank, der eine Menge weiterer Devotionalien aus der dunkelsten Zeit deutscher Geschichte zu bieten hat.
Ein silbernes Essbesteck ist darunter, 4l Teile, das der „Führer" mit seinen Initialen versehen ließ. Auch eine brillantverzierte goldene Zigarettendose seines Reichsmarschalls Hermann Goring gehört dazu, Inventarnummer 466/96, auf deren Deckelinnenseite eine Aufschrift aus dem Jahr 1940 schimmert: „Voller Glück undStolz gratulieren zum ,Reichsmarschall'in inniger Liebe Emmy und Edda" - Görings Ehefrau und seine Tochter.
Eine ganze Kiste mit Blutdiamanten, die Hitlers Paladin einst sein Eigen nannte, hat die Pinakothek seit Jahrzehnten in ihrer Obhut: ein Diadem mit 32 Karat Brillanten, Krawattenrmge aus Platin mit Smaragden, Manschettenknöpfe aus Gold mit Rubinen, ein Ring mit Brillanten und einem schweren Amethyst ~ was man als Unmensch von Welt eben so benötigte.
Es ist jene SorteHinterlassenschaft vor der sich jede junge Demokratie fürchten muss. Was soll ein erbendes Staatswesen mit solch wertvollem Unrat tun, dessen wahre Herkunft auch noch unklar ist?
Wohin mit dem Protz eines Regimes, den man nicht ausstellen möchte? Also ab ins depot. Wegsperren auf NimmenviederAen. Aus den Augen, aus dem Sinn.
So hält es bis heute die Bundesrepublik Deutschland am liebsten mit den Schätzen, die Hitler, Goring und all die anderen in zwölf Jahren Gewaltherrschaft zusammenrafften und zusammenraubten. Das
Verwahrgut aus den Münchner Katakomben ist lediglich ein winziger Teil des braunen Nachlasses, der Nachkriegsdeutschland in den Schoß fiel. Fast sieben Jahrzehnte später hörten die Deutschen noch immer Gemälde, Teppiche, Möbel, Grafiken, Skulpturen, Silbergefäße, Tapisserien, Bücher und Edelsteine, die die NaziClique in ihren Besitz gebracht hatte. Der Bund besitzt mnd 20000 Erbstücke - Gemalde, Plastiken, Möbel, Bücher, Münzen. s 2300 Gemälde haben nach einer; von 2004 einen Versicherungswert von 60 Millionen Euro. Hunderte weitere lagern in Deutschland Museen.
Nur geredet wird darüber ungern. Auch aus dem schlechten Gewissen heraus, auf Werten zu sitzen, deren Herkunft vielfach ungeklärt ist: Kunstgegenstände, die nach 1933 aus panisch aufgelösten jüdischen Sammlungen erworben wurden, weil die Vorbesitzer das Land verließen; oder die den Eigentümern einfach abgenommen wurden, bevor sie in Konzentrationslagem verschwanden.
Nicht alle Kunst ist der Öffentlichkeit entzogen. Etliche Werke befinden sich über Deutschland verteilt - in staatlichen Museen, in privaten Sammlungen, im Bundespräsidialamt, im Kanzleramt, in Gästehäusern der Regiemng oder in deutsehen Botschaften rund um den Globus.
Und so beschreibt der Umgang mit den gigantischen Kunstsammlungen von Hitler, Goring, Parteikanzleichef Martin Bormann und anderen Nazi-Größen ein besonders makabres Kapitel der sögenannten Wiedergutmachung durch die Bundesrepublik. Seit nunmehr bald 68 Jahren winden sich die Verantwortlichen über Parteigrenzen und Politikergenerationen hinweg, wenn es um die Erforschung und Rückgabe der zweifelhaft ererbten Millionenwerte geht.
Keiner der Regiemngschefs, ob der NSVerfolgte Konrad Adenauer oder das ehemalige NSDAP-Mitglied Kurt Georg Kiesinger, ob der Emigrant Willy Brandt, der Wehrmachtoffizier Helmut Schmidt, der Kinderlandverschickte Helmut Kohl oder die Nachgeborenen Gerhard Schröder und Angela Merkel, mochte jenseits der salbungsvollen Reden, die am 9. November im Gedenken an die Reichspogromnacht gehalten werden, den letzten Schritt der Wiedergutmachung gehen - und mit aller Konsequenz versuTchen_, die braune Beute ihren rechtmäßigen Besitzern zurückzugeben.